Pflegende Angehörige sind zeitlich und psychisch Überfordert 1
Die zeitliche und psychische Überforderung ist durch alle Pflegestufen hinweg die größte Belastung. Auf Platz 3 liegt die körperliche und Platz 4 die finanzielle Überforderung.1
50 % der pflegenden Angehörigen kümmern sich mehr als 12 Stunden pro Tag um ihre pflegebedürftige Person.2
Von 3,41 Millionen Pflegebedürftigen wurden 2017 nur 0,792 Millionen in Pflegeheimen versorgt.3
29,9 % der Pflegenden fühlen sich in ihrer Rolle als pflegender Angehöriger gefangen.4
Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen und Schlafstörungen bei pflegenden Angehörigen5
43,7 % der pflegenden Angehörigen haben Rückenschmerzen, 40,5 % Gelenkschmerzen und 33,7 % Schlafstörungen5
23 % der pflegenden Angehörigen findet, dass sich die Pflege negativ auf ihre Freundschaften auswirkt.6
Kapitel 2
Pflegende besser verstehen
Kapitel 2
„Sag bescheid wenn ich dir helfen kann.“
Leider wird dieses Angebot von vielen Pflegenden nicht erst genommen oder nicht angenommen. Viele wollen ihre Freunde, Familie und Bekannte nicht belasten, wollen sich nicht eingestehen, dass sie Hilfe gebrauchen könnten oder denken einfach, dass das Angebot nicht ernst gemeint, sondern nur eine Floskel ist.
„Das sind alles so Sachen die dann schwer sind, wenn man alleine davor steht. Und ich kann ja auch nicht wegen jeder Kleinigkeit die Kinder anrufen damit sie mir helfen kommen. Die müssen auch arbeiten. Da kann ich auch nicht immer anrufen. Da müssen die Kinder schon einen sehr verständnisvollen Chef haben. Aber normalerweise ist das praktisch unmöglich.“
Weiblich, ehem. pflegende Angehörige
Kapitel 2
Bei vielen pflegenden Angehörigen ist der Kontakt zu Freunden abgebrochen.
Die Pflegenden waren plötzlich nicht mehr spontan, alles brauchte Planung und Zeit, da der Pflegebedürftige auf den pflegenden Angehörigen angewiesen ist.
Da sie wissen, dass sich Freunde deswegen abgewendet haben, haben sie Angst bei anderen nach Hilfe zu fragen. Sie möchten oft nicht noch weiter zur Last werden.
„Kennt ihr das, man hat Geburtstag und weil man pflegt und kaum Zeit hat, kommt niemand mehr zum Geburtstagsbesuch?“
„Vor der Krankheit meines Mannes hatten wir einen großen Freundeskreis. Nach seinem Schlaganfall kam oft nur die Bemerkung: ‚Du kannst ja sowieso nicht mit.‘
[…] Auch wenn ich sagte, dass ich versuchen will jemanden für den Zeitraum zu besorgen, der sich um meinen Mann kümmert… Anstatt zu sagen ‚Du kannst ja mal versuchen jemanden für die Zeit zu finden. [Sagten sie nur, dass ich sowieso nicht mit kann.]‘ Es konnte sich keiner auf die Situation mit meinem Mann einstellen. Es gab kein Verständnis dafür.“
Weiblich, ehem. pflegende Angehörige
„Auch wenn einer von der alten Garde überlegte alle zum Kaffeetrinken im Garten einzuladen, kam immer die Überlegung „Ach dein Mann kann ja nicht. Dann lassen wir das lieber.“ Dann hat man auch einfach keine Lust mehr. Mich da anbiedern oder hinter denen herzulaufen, das mache ich nicht.
Mein Leben verengte sich dadurch auf die Zweierbeziehung zwischen mir und meinem Mann — und wenn mal die Kinder oder Enkelkinder kamen.“
Weiblich, ehem. pflegende Angehörige
Kapitel 2
Fragt die pflegenden Angehörigen also trotzdem, ob sie es einrichten können. Die pflegenden Angehörigen werden euer Angebot schätzen. Sie bekommen ein gutes Gefühl vermittelt und signalisiert:
„Ich sehe dich und du bist nicht allein.“
Kapitel 3
Helfershelfer werden
Kapitel 3
Kleine Auszeit als Hilfe
Wirkt ein pflegender Angehöriger erschöpft und niedergeschlagen? Könnte er eine Auszeit gebrauchen?
Dafür musst Du nicht für ein Wochenende oder eine Woche die Pflege komplett übernehmen. Aber Du könntest Dich für eine kleinere Auszeit zur Verfügung stellen.
Kapitel 3
Auszeit vor Ort
Rede mit dem pflegenden Angehörigen. Vielleicht würde er gerne für ein, zwei Stunden einem Hobby nachgehen und Du könntest den Pflegebedürftigen beaufsichtigen damit der Pflegende weiß, dass dem Pflegebedürftigen nichts unbemerkt passieren kann und ihm zum Beispiel hin und wieder etwas zu Trinken angeboten wird.
Kapitel 3
Auszeit von weitem
Auch wenn Du weit von dem pflegenden Angehörigen entfernt wohnst, kannst Du ihm helfen.
Durch ein schönes Telefonat, indem der Pflegende seine Sorgen teilen kann oder einfach auf andere Gedanken gebracht wird, kann ihm eine große Hilfe sein und hilft, dass er sich nicht mehr so alleingelassen fühlt.
Hier ein paar Anregungen, wie ihr mit einfachen Mitteln dem Pflegenden eine große Last von den Schultern nehmen könnt:
Zuhören
„[Ich denke, dass bei] dem Teilen der Belastung nicht nur durch Taten, sondern auch viel mit Worten [sehr geholfen werden kann]. Durch Gespräche weg vom Alltag und das Bewusstsein des Pflegenden auch mal wieder auf sich zu rücken.“
Christiane Howirk 46 Jahre, Helfershelferin
Verständnis
„Mir würde schon die Anerkennung und Verständnis von den Familienmitgliedern, die nicht im Haus leben eine seelische Entlastung bereiten.“
Weiblich 52 Jahre, pflegende Angehörige
Zur Seite stehen
„Der Vater meiner Nachbarin ist vor einiger Zeit gestürzt und sie konnte ihm alleine nicht aufhelfen. Da hat sie bei mir geklingelt und um Hilfe gebeten. Zusammen war das kein Problem. Ich hatte das Gefühl, dass es ihr unangenehm war, mich um Hilfe zu fragen dabei war das ja keine große Sache für mich und ich habe mich gefreut helfen zu können.“
Weiblich 43 Jahre, Helfershelferin
Besuch
„Ich freue mich immer über Besuche und Einladungen. Bei Freunden weiß ich, das es nicht schlimm ist, wenn ich mal wegen der Pflege zu spät komme. Sie wissen, dass Besuche mit meinem Mann immer etwas Planung und viel Zeit brauchen und sind geduldig, wenn wir auf den Treppen hoch in ihr Wohnzimmer mehrere Pausen einlegen müssen. Trotzdem laden sie uns immer noch ein oder kommen zu Besuch. Das kenne ich leider auch ganz anders.“
Weiblich 56 Jahre, pflegende Angehörige
Zeit mit dem Pflegebedürftigen verbringen
Es reicht manchmal auch einfach da zu sein um Bescheid sagen zu können, falls etwas ist.
„Als damals meine Tante meine Oma gepflegt hat, habe ich manchmal auf meine Oma aufgepasst, während meine Tante verschiedene Dinge außer Haus erledigt hat. Das hat meiner Tante sehr geholfen, da sie sich so auch mal auf sich persönlich konzentrieren konnte und Oma in guten Händen wusste. […]“
Christine Schmidt 31 Jahre, Helfershelferin
Zeit mit dem Pflegebedürftigen verbringen
Aber auch wenn man dem Pflegebedürftigen etwas Abwechslung bereitet, kann es den Pflegenden entlasten.
Wenn durch eine Krankheit oder ähnliches eine Unterhaltung schwierig geworden ist, kann man dem Pflegebedürftigen zum Beispiel Bilder oder Fotos zeigen, vorlesen oder von seinem eigenen Tag erzählen. Einfach damit er etwas Gesellschaft hat.
Aufmerksam sein
Aber auch ein hilfsbereiter Nachbar kann eine große Unterstützung sein.
„Die Nachbarin meiner Oma übergab uns einen Umschlag mit Geld, den meine Oma ihr gegeben hatte, weil sie dachte, es wäre Krieg.“
Weiblich 39 Jahre, pflegende Angehörige
Natürlich kann man auch etwas mehr tun.
Dafür auch ein paar Anregungen:
Termine übernehmen
„Der Schwager hat die Termine zur Fußpflege übernommen [und den Pflegebedürftigen dort hingebracht]. Es war eine große Erleichterung, da es wenigstens einen regelmäßigen Termin gab, um den ich mir keinen Kopf machen musste.“
Weiblich 52 Jahre, pflegende Angehörige
Zeit mit dem Pflegebedürftigen verbringen
Aber keine Angst. Um zu helfen, muss man nicht unbedingt die komplette Pflege übernehmen.
„Mein Vater hat früher meine Mutter gepflegt. Ich habe manchmal die Pflege übernommen, für einen Abend oder mehrere Tage, damit er etwas anderes machen konnte, wegfahren konnte, z. B. zu seinem Bruder. Ich denke, das war eine große Entlastung für ihn.“
Barbara F. 37 Jahre, Helfershelferin
Bei Erledigungen helfen
„Ich habe eingekauft, Mahlzeiten gekocht und habe ihr im Garten geholfen.
Das hat ihr glaube ich viel bedeutet weil sie in diesen Stunden endlich auch einmal Zeit für sich hatte, um etwas zu entspannen und einmal durchzuatmen.“
Männlich 32 Jahre, Helfershelfer
Bei Erledigungen helfen
„Ich habe einige Monate meiner älteren Nachbarin Wasserkisten vom Einkaufen mitgebracht, wenn sie keine mehr hatte.
Sie selbst und ihre Kinder waren mir, obwohl ich das als eine Kleinigkeit angesehen habe, so dankbar, dass sie mir immer etwas schenken wollten. Sie sagten mir, dass sie einfach froh sind, jemanden im Haus zu wissen, falls mal etwas passiert.“
Männlich 31 Jahre, Helfershelfer
Bei Erledigungen helfen
„Ich bin mir nicht sicher, ob man das wirklich als ‚Hilfe‘ ansehen kann. Die Nachbarin meiner Eltern pflegt schon seit Jahren ihren Mann. Ich schneide bei meinen Eltern immer die Hecke im Vorgarten und da hat sie mir einmal erzählt, dass ihr das Heckeschneiden langsam etwas schwerfällt. Da unsere Hecke direkt in die, der Nachbarin übergeht, habe ich sie seit dem schon einige male mit geschnitten. Sie bedankt sich dafür jedes mal, wenn wir uns sehen.“
Christoph L. 32 Jahre, Helfershelfer
Aufmerksam sein
„Die Nachbarin, die gegenüber von meiner Oma gewohnt hat, hat jeden morgen nachgesehen, ob meine Oma die Jalousien hochgezogen hat. Wenn Oma das bis zu einer bestimmten Uhrzeit nicht gemacht hat, hat die Nachbarin uns immer angerufen oder ist zu meiner Oma rübergegangen und hat durch die Schlitze der Jalousie geguckt, ob auch alles ok ist.
Wir waren ihr jedes Mal unglaublich dankbar dafür.“
Weiblich 35 Jahre, pflegende Angehörige
Kapitel 3
Die Bedürfnisse pflegender Angehöriger können unglaublich unterschiedlich ausfallen. Viele pflegende Angehörige würden sich über einen spontanen Besuch freuen. Andere sind nicht so spontan und brauchen die Absprache mit euch.
„Ich freue mich immer sehr, wenn meine Freundin auf einen Sprung vorbeikommt. Sie bringt mich auf andere Gedanken. Auch wenn es oft nur ein kurzer Besuch ist, reißt es mich aus dem Pflegealltag. Ich bin ihr wirklich dankbar, dass sie mich, obwohl ich mittlerweile so wenig Zeit habe, nicht vergisst.“
Weiblich 42 Jahre, pflegende Angehörige
„Mit den Besuchen ist das so eine Sache… Bei meiner Familie freue ich mich natürlich immer aber, wenn die anderen unangemeldet vorbeikommen… Das passt manchmal einfach nicht. Es gibt ja solche Tage wo alles drunter und drüber geht. Und dann habe ich noch mehr zu tun.“
Weiblich 63 Jahre, pflegende Angehörige
Kapitel 3
So unterschiedlich die Pflege selbst sein kann, so verschieden sind auch die Hilfsbedürfnisse und Wünsche der Pflegenden. Nicht jede der genannten Beispiele funktioniert für jeden pflegenden Angehörigen. Sprecht es ab, probiert es aus und fragt, ob eure Hilfe etwas gebracht hat oder eher nicht.
Kapitel 3
Nehmt es bitte nicht persönlich, falls eure Hilfsangebote beim ersten Mal nicht angenommen werden. Versucht es einfach noch einmal. Seid offen und sprecht miteinander. Die pflegenden Angehörigen werden trotzdem euer Angebot schätzen. Sie bekommen ein gutes Gefühl vermittelt und signalisiert:
„Ich sehe dich und du bist nicht allein.“
Kapitel 4
Dankbarkeit
„Die Nachbarn haben gelegentlich die Mülltonne nach der Leerung an Ort und Stelle gestellt. Ich war überrascht und berührt, dass sie mitdenken und sich kümmern.“
Weiblich 52 Jahre, pflegende Angehörige
„Wir sind Fünf Geschwister [...] Wir machen schon über Jahre, jeden Monat ein Geschwistertreffen. Einmal gehen wir Kaffeetrinken, Brunchen oder Abendessen. Daher habe ich den Halt den man in so einer Situation auch braucht. Wir rufen uns untereinander an. Wenn der eine Probleme hat oder der andere Hilfe braucht sind wir immer füreinander da. “
Weiblich, pflegende Angehörige
„Meine Freunde helfen mir sehr. Auch wenn ich glaube, dass sie das gar nicht so merken. Sie hörten mir immer zu, wenn ich mich mal wieder über gewisse Situationen der Pflege aufgeregt habe oder mir einfach etwas von der Seele reden musste und ich wusste, dass ihnen das nichts ausmacht. Sie halfen mir auch in den seltsamsten und schlimmsten Pflegemomenten den Mut und das Lachen nicht zu verlieren. Dafür werde ich ihnen immer Dankbar sein!“
Weiblich 28 Jahre, pflegende Angehörige
„Sie hat mir ihre Hilfe angeboten und sie konnte ich auch jederzeit, wenn mal Not am Mann war, anrufen. Sie hätte den Notarzt rufen können oder mich anrufen können. Es war einfach jemand da. Das war das wichtigste. Dafür war ich immer wirklich dankbar.“
Weiblich, pflegende Angehörige
„Meine Geschwister waren auch immer für meinen kranken Mann da. Sie haben ihn bestärkt und unterstützt. Sie sind auch gekommen und haben mit ihm geredet auch wenn er keine Antworten mehr geben konnte.
Ich weiß nicht ob das viele haben.“
Weiblich, pflegende Angehörige
Kapitel 5
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Kapitel 6
Erfahrungen, Anregungen, Tipps
Möchtest Du auch Deine Geschichte und Erfahrungen mit mir teilen, um anderen die Bedenken zu nehmen ihren Angehörigen zu helfen? Das kannst Du gerne hier tun.